Stefan Werni & Christian Jendreiko
WILLKOMMEN IM HAUS DES QUASI-SERIELLEN DENKENS

Wir arbeiten an der Entwicklung einer Musikform, die wir als quasi-seriell bezeichnen.

Seriell ist unser Entwurf insofern, als dass wir die operative Struktur der seriellen Musik beibehalten.

Im Unterschied zur seriellen Musik organisieren wir den musikalischen Prozess jedoch nicht durch eine Reihe von Zahlenwerten, sondern durch eine Reihe von Praktiken.

Unser Ansatz ist also eine Erweiterung der seriellen Technik.

Für jedes akustische Geschehen stellen wir eine Reihe aufeinander abgestimmter Praktiken zusammen. Die freie Entscheidung darüber, welche Praktik wann zum Einsatz kommt, eröffnet uns die Möglichkeit, uns im musikalischen Prozess auf den so genannten Sweet Spot zuzubewegen, der in der Systemtheorie den optimalen Bereich zwischen starrer Ordnung und Chaos beschreibt.

Es ist der Punkt, der interessantes Verhalten hervorbringt.

Zu den Praktiken gehören neben einer Reihe unterschiedlicher Umgangsweisen mit den Instrumenten auch das Programmieren aller zum Einsatz kommender elektronischer Geräte und die quadrophone Klangprojektion.

Es gibt noch einen Punkt, in dem wir über die urprüngliche serielle Idee hinausgehen:

Wir richten unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf das rein musikalische Material, also den Klängen, Tonöhen und ihre Intervallbeziehungen.
 
Wir versuchen, den gestaltbildenden Einfluss aller Faktoren auf das musikalische Geschehen in unser Blickfeld zu rücken.

Das musikalische Geschehen besteht ja nicht nur aus der rein musikalischen Struktur. Auch die Persönlichkeiten und Eigenarten der am musikalischen Prozess beteiligten Personen, deren Beziehungen zueinander und zur musikalischen Struktur, die Eigenarten und Bauart der Werkzeuge, die zum Einsatz kommen, die Beziehungen dieser Eigenarten zu den Personen, sowie die örtlichen und sozialen Umstände, unter denen das musikalische Geschehen stattfindet – all diese und noch viele andere Faktoren nehmen einen starken Einfluss auf die Form und den Verlauf des musikalischen Geschehens.

In den einzelnen Kompositionen versuchen wir, die formkonstituierende Kraft der einzelnen Faktoren eingehend zu untersuchen und in den kompositorischen Prozess einzubeziehen.

Im Haus des quasi-seriellen Denkens, das auf den Fundamenten des seriellen Denkens ruht,  findet also der ursprüngliche numerische Reihengedanke als Praktik seinen Platz neben vielen anderen Praktiken, die wir schon entwickelt haben und die wir noch entwickeln werden. Praktiken, die alle miteinander frei verknüpfbar sind.

Was sind die Gesichtspunkte, nach denen wir die Reihen an Praktiken zusammenstellen?

Die Kriterien werden von unserem forschenden Fragen bestimmt: Was passiert, wenn ...